Bisher habe ich eher klassische Landkarten gezeichnet. Ein Berg, ein Wald, ein Dorf – das war selbst für die meisten Lebenslandkarten ein gutes Rezept. Als mich das Düsseldorfer Marionetten-Theater für eine Karte ihrer Stücke anfragte, wusste ich: Das wird eine ganz andere Herausforderung.
Das erste Treffen
Wir machten einen Termin vor Ort. Dabei bekam ich einen tiefen Blick hinter die Kulissen. Anton Bachtleitner führte mich persönlich hinter die Bühne und durch die Werkstätten. Anschließend durfte ich mir eine Aufführung von Michael Endes »Der Wunschpunsch« ansehen. Dadurch schloss sich für mich ein Kreis: In der Grundschule war das das erste Stück, das ich in einem Theater gesehen hatte.

Im anschließenden Gespräch legten wir die Details fest. Wir einigten uns auf ein Format und ein grobes Design, sowie auf einen Preis. Und dann gings los.
Der lange Weg bis zur fertigen karte

Vom Theater habe ich unglaublich viel Material bekommen. Das half mir dabei, alle möglichen Spielorte und Figuren zu arrangieren. Die Auswahl fiel mir trotzdem nicht leicht. Am liebsten hätte ich eine Million Details in die Karte eingearbeitet. Allerdings hätte das meinen zeitlichen Rahmen gesprengt.
Zwar gab es keine Deadline seitens des Theaters. Aber da das die Arbeit ist, von der ich meine Miete bezahle, kann ich mir auch nicht unendlich Zeit damit lassen. Dieser Druck hilft mir, nicht allzu viel zu prokrastinieren.
Auf der anderen Seite lerne ich auch besser einzuschätzen, wieviel ich für welche Arbeit nehmen kann und muss. Manche Leute sind überrascht, wenn ich meine Preise nenne. Allerdings steckt in jeder Landkarte eine Menge unsichtbarer Arbeit, z.B.:
- Fahrten zu Kund*innen
- Gespräche und Mails
- Recherche
- Material besorgen
- Papier färben
- Skizzen machen
- Änderungswünsche bearbeiten
- Fotos und Videos aufnehmen (u.a. für Social Media)
- Rechnungen schreiben
- …
Schritt für Schritt
Am Anfang steht ein Entwurf, der aussieht wie von einem Erstklässler. Dabei geht es darum, einen groben Überblick über die Landkarte zu bekommen. Welche Orte und Figuren kommen rein? Wie sieht der Rahmen aus? Welche Geschichte soll die Karte erzählen? Wie beim Bücherschreiben ist der erste Entwurf selten gut. Aber auf der Grundlage dieser Skizze kann ich weitere Entscheidungen treffen.
Nachdem ich Feedback zum Entwurf erhalten habe, fertige ich eine Vorzeichnung an. Hier sind Stil und Aufbau schon deutlich erkennbar. Außerdem taste ich mich an die finale Zeichnung heran. Meine Hand bekommt ein Gefühl für die einzelnen Elemente. Dabei kommt es nicht selten vor, dass ich ein Element zehn Mal ausradiere und neu zeichne, bis es mir gefällt.
Schließlich hole ich mir ein weiteres Mal Feedback ein. Bei der Landkarte fürs Marionetten-Theater kamen noch einige Änderungswünsche rein, die ich gern hinzugefügt habe. Die korrigierte Fassung schicke ich dann auch nochmal per Mail, bevor ich mich an die finale Zeichnung mache. Denn wenn die Tusche erst einmal auf dem Papier ist, gibt es kein Zurück mehr.
Aufbau und Bedeutung der Karte
In dieser Landkarte steckt mehr, als ich in einem Blog-Artikel behandeln könnte. Trotzdem möchte ich versuchen, dir ein paar Details näher zu bringen. Fangen wir mit dem groben Aufbau an.
Insgesamt stecken 16 Stücke des Theaters in diesem Bild:

Beim Rahmen der Karte habe ich mich am Gebäude des Theaters orientiert, dem Palais Wittgenstein. Das Dach und die Fenster sind im gleichen Stil, das Schild mit der Aufschrift »Düsseldorfer Marionetten-Theater« hängt am Haupteingang, zusammen mit »Puck«, dem Maskottchen des Theaters. Dieser begrüßt auch auf der Karte die Zuschauenden, nämlich im Eingangsbereich zum Saal.
Zwischen kindlicher Neugier und Weisheit des Alters

Hast du die beiden Figuren in den oberen Ecken erkannt? Es sind Bastian Balthasar Bux und der Alte vom Wandernden Berge, beide aus der »Unendlichen Geschichte« von Michael Ende.
»Alles, was geschieht, […] schreibst du auf.«
»Alles, was ich aufschreibe, geschieht«, war die Antwort.
aus »Die Unendliche Geschichte« von Michael Ende
Die Geschichte des Düsseldorfer Marionetten-Theaters ist eng mit Michael Ende verknüpft. Ende hat sogar eine Sprecher-Rolle übernommen, sodass seine Stimme noch heute im Theater hörbar ist.
Während Bastian für die kindliche Neugier und den jungen Michael Ende steht, repräsentiert der Alte die Weisheit und den erwachsenen Schriftsteller. Bastian entdeckt, während der Alte erschafft, bzw. dokumentiert.
Diese beiden Pole machen auch das Theater aus: Die Stücke locken Kinder wie Erwachsene gleichermaßen an. Beim Puppenspiel selbst ist Neugierde gefragt, aber auch Disziplin und Ernst. Und oftmals ist es wie beim Alten vom Wandernden Berge: Es ist nicht klar, wer wen führt – die Spieler*innen die Puppen oder umgekehrt?
Die kleinen Details

Ich kann kann es nicht zu oft sagen: Ich liebe Details! Es wäre zuviel, auf alles einzugehen. Aber ein paar Dinge möchte ich hier beleuchten.
Erinnerst du dich, dass ich den Rahmen dem Palais Wittgenstein nachempfunden habe? In den unteren Ecken stehen Säulen, die dem Haupteingang nachempfunden sind. Schau dir zum Vergleich gern das Foto unter dem Abschnitt »Das erste Treffen« an. Zusammen mit dem Bogen des Sternenpendels bilden die Säulen quasi den Eingang zum Theater
Das Antiquariat
Im Labor / Antiquariat unten links findet sich eine ganze Reihe von Easter Eggs. Am Tisch sitzen keine Figuren, sondern diejenigen, die sie bewegen: Das Team hinter den Kulissen des Marionetten-Theaters.

Von links nach rechts: Tandy Wiriya (Licht- und Tontechnik), Susanna Wiedeking (Puppenspiel), Romina Friedrich (Puppenspiel und Holzarbeiten), Anna Zamolska (Puppenspiel, Verwaltung), Anton Bachleitner (Puppenspiel, künstlerische Leitung, Geschäftsleitung), Sandra Zydek (Dramaturgie und Öffentlichkeitsarbeit), Stefan Fecke (Bühnen- und Theatertechnik)
Ich gebe zu, dass mir dieser Bereich am meisten Kopfschmerzen bereitet hat. Einen Charakter mit wenigen Strichen einzufangen ist gar nicht so leicht – auch wenn ich in meiner Vergangenheit viele Comics gezeichnet habe. Ihr könnt ja gerne mal selbst beurteilen, ob ihr die Leute erkannt hättet.

Den »Wunschpunsch« haben die meisten vermutlich schon entdeckt. Aber was ist das für eine Kiste unten links? Sie kommt unscheinbar daher, steht aber für die Reisen, die das Theater mit seinen Stücken gemacht hat – teilweise bis nach Japan und Indonesien! Diese Kiste ist ein mobiler Werkzeugkoffer, der unterwegs hilft, kleine Schäden auszubessern.
Ebenfalls unscheinbar ins Bild gemogelt: Ein Apparat aus dem Stück »Faust – eine Vision«, hier rechts neben den Bücherstapeln.

Außerdem haben sich hier zwei Elemente aus dem Stück »Momo« versteckt: Unter dem Tisch die Schildkröte Kassiopeia, die zu Meister Hora gehört. Dessen Uhren finden sich hinter dem Schornstein aus dem »Wunschpunsch« im Regal. Ich finde, sie passen gut mit der Kuckucks-Uhr zusammen.


Versteckt im tiefen Walde
Ein Detail im Wald habe ich eingefärbt, um es besser zu sehen. Die Bäume sind aus dem Stück »Wilhelm Busch und die Folgen der Musik«. An ihren Wurzeln hängen Schuhe, die im Stück tanzen.

Wieder ein winziges Detail, das die Stücke des Theaters ausmacht: Wenn du glaubst, du kennst das Bühnenbild, klappt irgendwo etwas auf oder bewegt sich. Von daher war ich froh über den Hinweis, diese Schuhe mit in die Karte einzubauen.
Fazit
Normalerweise fühle ich mich in Fantasy-Landkarten »zuhause«. Und natürlich hatte ich einen Heidenrespekt davor, mit Menschen zusammen zu arbeiten, die selbst künstlerisch tätig sind.
Bin ich zufrieden? Nicht hundert Prozent. So geht es mir mit jedem Projekt: Im Nachhinein fällt mir immer vieles auf, das ich gern anders gemacht hätte. Aber gerade darum geht es.
Mit jeder Karte lerne ich dazu. Ich entdecke Menschen, Orte und Techniken, ähnlich wie Bastian die Unendliche Geschichte. Gleichzeitig bringe ich viel von dem mit, was ich bereits gelernt habe, ähnlich dem alten Schreiber.
Ich bin dankbar für die Möglichkeit und die Begegnung mit dem Team des Düsseldorfer Marionetten-Theaters. Und ich freue mich, die Karte vielleicht bei meinem nächsten Besuch im Theater hängen zu sehen.
Falls du Lust auf das Thema (Lebens-)Landkarten bekommen hast: Hier findest du mehr Infos.